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Uwe Bronnert am 20.11.2008 |
Nicht immer sah die Obrigkeit sportliches Treiben gerne
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Heute erscheint es uns selbstverständlich, dass der Sport vom Staat unterstützt wird und dass Sportplätze und Hallen den Vereinen von den Kommunen kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Dies war nicht immer so. Lange Zeit begegnete die Obrigkeit dem sportlichen Treiben seiner Bürger mit Argwohn, hielt es sogar für staatsgefährdend. Werfen wir einen Blick zurück auf die sportlichen Anfänge in Kirchen:
1816 veröffentlichte Friedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852) „Die Deutsche Turnkunst“. Dieses erste Lehrbuch enthielt neben Bewegungsbeschreibungen der einzelnen turnerischen Fertigkeiten und Turnspielen auch Verhaltensweisen. Ein Abschnitt des Buches beschäftigte sich auch mit der Errichtung von Turnplätzen und die Installierung von Turngeräten.
Sicherlich kannte der Kirchener Schichtmeister Johann-Daniel Stein dieses Buch. Er richtete im Erscheinungsjahr einen Turnplatz „Auf dem Sand“ im früheren Siebel’schen Garten ein. All sonntäglich traf sich hier die Kirchener Jugend zum Turnen. Natürlich hatte das damalige Turnen ein anders Gesicht. Es bestand aus einfachen Übungen, aus Spielen, Laufen, Raufen, Verstecken und Suchen u. ä. Allmählich entwickelte sich daraus ein planvolles Training. Unterstützt wurden Steins Bemühungen durch den Lehrer Friedrich Wilhelm Grube. Unter seiner Aufsicht und Anleitung tummelten sich auch die Kinder der Kirchener Privatschule auf dem Turnplatz. Bereits ein Jahr später wurde ein richtiges Turnfest veranstaltet.
Am 21. Januar 1821 erließ der Minister des Inneren und der Polizei des Königreiches Preußen ein Dekret in dem es heißt: „Da es seiner Majestät ernstlicher Wille ist, dass das Turnwesen ganz aufhöre, so hat die königliche Regierung von Polizei wegen nachdrücklich darauf zu halten, dass alles Turnen schlechterdings unterbleibe und alle diejenigen, welche dagegen handeln, durch exekutive Mittel davon abzuhalten.“
Bereits ein Jahr zuvor war der von Turnvater Jahn in Berlin eingerichtete Turnplatz geschlossen, er selbst verhaftet und zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt worden. Auch in Kirchen schlug die in kleinstaatlichen Grenzen denkende Obrigkeit zu. Sie hielt die Ideale der Turner- und Burschenschaften für staatsgefährdend. Den Kirchener Gymnasiallehrer Christian Sartorius und seinen Direktor Dr. Heinrich Snell steckte das Gericht ins Siegburger Zuchthaus. Ihr Aufenthalt dort war allerdings nur von kurzer Dauer. In einer spektakulären Aktion, die dem Hauptmann von Köpenick alle Ehre gemacht hätte, befreiten zwei schlitzohrige Gleichgesinnte die Gefangenen.
Hier der Bericht aus der Chronik des VfL von 1983:
„An dem frühen hereingebrochenen Abend des zweiten August 1823 zeigten zwei Regierungsbeamte am Tor des Zuchthauses einen Ausweis vor, der sie zur Inspektion berechtigte. Der Direktor war zurzeit abwesend, darum ging ein Oberaufseher mit. Während er mit dem einen Besucher zu den nördlich gelegenen Räumen schritt, gelangte der andere in den südlichen Trakt, öffnete die Tür zur Zelle 27 mit einem Nachschlüssel, sägte mit kundiger Hand Teile des Gitters heraus und wickelte sich ein zwanzig Meter langes starkes Seil von den Hüften ab. Er fand sich dann wieder unbefangen im Direktorzimmer ein. Snell und Sartorius hangelten sich mit gelernter Gewandtheit hinab und fanden Aufnahme in einem ihnen bekannten Haus der Innenstadt. Ersterer verließ es bald in dem Habitus eines wohlhabenden Bürgers und fuhr mit der Postkutsche über Köln, Düsseldorf nach Roermond. Der zweite zog den Anzug eines herrschaftlichen Dieners an und wurde in einem geschlossenen Wagen sofort nach Kirchen gebracht, wo er sich unverzüglich mit seiner Jugendgespielin Minna Stein verlobte. Anschließend reiste er als Diener seiner beiden Schwäger ebenfalls nach Roermond, in Hoek van Holland schifften sich alle auf dem schneidigen Segler ‚Echo’ ein, die Fahrt ging nach Südamerika. – Dr. Snell hat sich später in Batavia (Sumatra, Anm. d. Verf.) niedergelassen, Sartorius ließ seine Braut nachkommen und blieb in den Stein’schen Silbergruben in Mexiko tätig. Indessen liefen in Kirchen die Fahndungen, Verhöre und Verhaftungen auf hohen Touren. Die der Beihilfe verdächtigten jungen Turner hielten dicht. Sie freuten sich nur insgeheim, dass sie – frisch, fromm, fröhlich, frei – Kraft und Mut für das Gute und Edle eingesetzt hatten. – Die beiden ‚Regierungsbeamten’ blieben unauffindbar, wie auch die vermuteten Geldgeber von dieser Sache nichts wussten.“
Auch wenn der preußische König am 6. Juni 1842 die Turnsperre aufhob und „Leibesübungen als ein notwendiger und unentbehrlicher Bestandteil der männlichen Erziehung“ anerkannte, blieb das Misstrauen gegenüber sportlicher Betätigung seitens der Behörden nicht gering, vermutet man doch in der Turnerschaft nicht genehme demokratische Strömungen.
Während in Siegen bereits im Jahre 1846 ein Turnverein gegründet wurde, kam die Turnerei in Kirchen erst später in Schwung. Darüber heißt es in der Festschrift zum 25. Stiftungsfest des Kirchener Turnvereins (1908): „Anfang der 50er Jahre wurde von hiesigen, hauptsächlich den besseren Ständen angehörenden jungen Leuten auf dem Struthof geturnt. Dort waren im Freien Reck und Barren aufgestellt. Leutnant Justus Kraemer und Dr. Hermann Prigge gehörten neben anderen Männern angesehener Namen zu der kleinen Turngemeinde. Dieser ‚zwanglosen’ Vereinigung frohgemuter Männer wurde sogar von einer Abteilung eines Bonner Akademischen Turnvereins um die angegebene Zeit ein Besuch abgestattet. Der Bestand dieser Vereinigung war aber nicht von Dauer. Während der 60er und 70er Jahre befasst man sich überhaupt nicht mit Turnen und erst 1883 nahm der auf die Bildung eines Turnvereins gerichtete Gedanke greifbare Gestalt an.“
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 | Quelle: Gernot Tille, Die Entwicklung des Sports im Kreis Altenkirchen - I. Teil: Von 1800 bis 1899, in: Heimat-Jahrbuch 2007 des Kreises Altenkirchen (Westerwald) und der angrenzenden Gemeinden, 50. Jahrgang, S. 173. |  | Kirchen um 1845 |  |
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